Kletter Knigge
Auszüge aus dem Jahrbuch des SBB 1914/15…
Gebote für den Bergsteiger in der Sächsischen Schweiz
l. Du sollst keinen Lärm machen
wenn du beim Klettern so schreist, muß man ja denken, das Bergsteigen tue weh. Und wer auf den Fremdenwegen, in den Gasthäusern, und in der Eisenbahn herumspektakelt, dem merkt man gleich an, dass er keine Bildung hat. Jodele auch nicht, denn du kannst gar nicht jodeln.
2. Du sollst die Felsen nicht verschandeln!
Drum hacke keine Löcher, keine Griffe und keine Tritte in den Felsen. Setze nicht auf jeden Hortzel eine Fahne. Bringe da keine Ringe und Stifte an, wo die Erstbesteiger keine gebraucht haben, und auch als Erstbesteiger spare möglichst mit dem Eisen.
3. Du sollst weder einen Südtiroler noch einen Urwäldler aus dir machen!
Drum „schmücke“ deinen Hut nicht mit Riesenfedern, mit Kuhglocken, mit kleinen Blechrucksäcken und ähnlichem Plunder. Schaffe dir in Zukunft keine gestickte Joppe, keine mit Edelweiß usw. „gezierten“ Gürtel und dergleichen an. Unsere schöne Felsenwelt ist kein Lokal für Trachtenfeste. Sprich und sing auch nicht in der „tirolerisch“ sein sollenden Mundart. – Andererseits komme auch nicht schmutzig, zerlumpt oder halbnackt an die Stätten des öffentlicher Verkehrs. Vielmehr suche dich, ehe du dich auf viel begangenen Wege oder in ein Gasthaus begibst, so manierlich wie möglich zu machen.
4. Du sollst nicht verunglücken
d. h. du sollst alles tun, um einen Unfall zu verhüten. Drum mache keine „Krampfkletterein“, keine „Bruchpartien“! Übe dich im „Zurücksteigen“, im Abwärtsklettern, im Abseilen, im Kletterschlussnehmen. Misstraue der Haltbarkeit des Gesteins, namentlich im Frühjahr und bei oder nach feuchtem Wetter. Nimm keine alten unzuverlässigen Seile, keine kunstgewebten Seile, keine Seile unter 13 mm Stärke. Als Sichernder wähle deine Stellung so fest wie möglich. Denke jeden Augenblick der Steigende könnte stürzen; darum verfolge ständig seine Tätigkeit. Halte das Sicherungsseil nicht wie einen Feuerwehrschlauch, sondern lege es womöglich über eine Schulter oder um die Hüften.
5. Du sollst nicht mit Gewalt ein berühmter Kletterer werden wollen!
Hasche nicht nach kleinlichen Varianten. Gib nicht den kläglichen Sandsteinhaufen, den du zuerst erklettert hast, als großartige Neubesteigung aus.
Verachte alle künstlichen Hilfsmittel. Gehe als Anfänger nicht gleich an Renommierrouten. Lerne in dieser Hinsicht aus den zahlreichen Unfällen an der Gans-Südwand, Barbarine, Jungfer, Torsteinnadel.
Mache auch nicht in den Zeitungen mit deinen Leistungen Reklame; bloß die Henne gackert, wenn sie ein Ei gelegt hat. Die Tat ist alles, der Ruhm ist nichts.
6. Du sollst nicht nach der Bewunderung der Laien haschen !
Renommiere nicht vor Laien mit deinen Klettereien, schweige am besten ganz davon; die Anerkennung des Laien ist nichts wert, denn sie unterscheidet nicht zwischen Stümpern und Könnern. Protze auch nicht mit deiner Ausrüstung; trage insbesondere das Seil nicht um die stolzgeschwellte Brust! Am besten ist, du tust allenthalben, als wärst du ein harmloser Wandersmann.